Haltet den Dieb!

Haltet den Dieb!

Ein Rätselkrimi von Ulrich Knellwolf

Gestern ist in die Villa eingebrochen worden. Die Villa, die meiner Weinhandlung schräg gegenüber steht, ist über hundert Jahre alt, mit mehr als einem Dutzend Zimmer und einem Park, der sicher so gross ist wie zwei Fussballplätze. Ich war noch nie drin, aber man erzählt im Quartier, die Wasserhahnen und Türfallen seien vergoldet und an den Wänden würden grosse, teure Bilder von Picasso und anderen berühmten Malern hängen. Den Besitzer der Villa kenne ich kaum. Er ist ein älterer Herr,dem früher eine Fabrik gehörte. Er war mit einer viel jüngeren Frau verheiratet, aber vor zwei Jahren haben sie sich scheiden lassen.

Rachegelüste

Früher ging es in der Villa sehr nobel zu und her. Feste wurden gefeiert, dass es nur so rauschte. Die Köchin kaufte allen Wein bei mir, immer vom besten und teuersten. Ein paar Monate nach der Scheidung wurde die Köchin entlassen. Sie erzählte es mir voller Zorn und schwor Rache. Seither verkaufe ich keinen Wein mehr in die Villa. Entweder kann mein Nachbar sich keinen mehr leisten, oder er kauft ihn anderswo. Wenige Wochen nach der Entlassung der Köchin gab es einen Einbruchsversuch in die Villa. Ich vernahm es von Fred, dem Schlosser, der sein Geschäft zwei Strassen weiter unten hat. Er musste alle Schlösser auswechseln.

Mit meinem Nachbarn selbst habe ich nur wenig geredet. Einmal kam er hemdsärmlig und in Hausschuhen zu mir herüber und fragte, ob er bei mir telefonieren dürfe. Er sei aus dem Salon in den Park hinausgegangen, da habe der Wind die Glastüre zugeschmettert. Nun sei er hinausgeschlossen. Der Glaser kam dann, schlug die Scheibe in der Tür ein, und nachdem offen war, setzte er gleich eine neue ein.

Vor anderthalb Wochen redete mein Nachbar mich wieder an. Ich stand gerade vor meinem Laden. Er wolle für ein paar Tage nach Italien fahren, teilte er mir mit. Er werde spätestens übernächste Woche wieder zurück sein. Ob er mir einen Schlüssel der Villa geben könne. Zwar habe der Schlosser schon einen, aber ich sei doch noch näher, und er wäre froh, wenn ich hin und wieder einen Blick hinüberwerfen würde, man könne ja nie wissen. Kurz darauf fuhr der Nachbar in seinem Volkswagen weg. Früher war es immer ein Jaguar gewesen.

Fred, der Schlosser, und ich jassen jeden Montagabend in Renés Wirtschaft. Das wissen alle im Quartier. Eher fällt der Mond vom Himmel, als dass unser Spiel ausfällt. Wir kamen auf meinen Nachbarn zu sprechen. Da zog Fred den Schlüssel der Villa aus der Tasche, und ich zeigte ihm meinen. Als ich gegen Mitternacht aus der Wirtschaft nach Hause ging, da sah ich, wie sich einer an der Tür der Villa zu schaffen machte. Ich rief, was er dort tue, und lief hinüber, aber der Kerl verschwand in den Büschen.

Mysteriöser Anruf

So schnell ich konnte, ging ich heim und alarmierte die Polizei. Sie kam nach einer halben Stunde und stellte fest, dass in die Villa eingebrochen worden war. Drei der grössten Bilder waren weg. Die Haustür war beschädigt, aber es war nicht gelungen, sie aufzubrechen. Dafür stand die Glastür vom Salon in den Garten offen. «Hier müssen sie hereingekommen sein», sagte der eine Polizist. Im Rasen waren Tritte zu sehen, und vor einem Gartentörchen weit hinten im Park fand die Polizei Reifenspuren. «Da hat der Wagen gewartet, mit dem die Bilder abtransportiert wurden», sagte der zweite Polizist.

Ich erzählte der Polizei, dass mein Nachbar nach Italien gefahren sei. Er wurde durchs Radio gesucht und war zwei Tage später zurück. Er klagte sehr über den Verlust der Bilder, sagte, sie seien unersetzlich, auch wenn sie natürlich versichert seien. Nein, er habe keine Ahnung, wer die Täter sein könnten. Allerdings habe er vor ein paar Wochen einen mysteriösen Anruf bekommen; eine Frauenstimme habe sich nach dem Preis des Picassos erkundigt, der jetzt gestohlen worden sei. Aber er habe geantwortet, das Bild stehe nicht zum Verkauf.

«Wer ausser Ihnen selbst, hat einen Schlüssel zur Villa?» fragte der Polizist. «Nur die zwei Herren hier», sagte mein Nachbar und zeigte auf mich und Fred, den Schlosser. «Sie werden die doch nicht verdächtigen. Oder sollten die beiden…?»

«Wir halten also fest», sagte etwas später der Bezirksanwalt, «dass die Täterschaft zuerst versuchte, durch die Haustür einzudringen. Als das nicht gelang, benützte sie die Tür aus dem Garten in den Salon.» Da ging mir plötzlich ein Licht auf. «Ich möchte Sie unter vier Augen sprechen», sagte ich zum Bezirksanwalt. Wir gingen hinaus.

«Ist in der Tür vom Salon in den Garten eine Glasscheibe zerbrochen?» fragte ich. «Nicht, dass ich wüsste», sagte der Bezirksanwalt. «Und ausser an der Haustür gibt es keine Einbruchsspuren?» «Nein.» «Dann weiss ich ziemlich sicher, wer die Bilder gestohlen hat», sagte ich. «Ich auch», sagte der Bezirksanwalt und lächelte.

Frage: Wer hat die Bilder gestohlen?